2.5.2015, Schierke, Die Walpurgis

2.5.2015, Schierke, Die Walpurgis

Guten Morgen, liebes Tagebuch!

Heute Morgen weckt mich kein knietief versunkener Bus mit stundenlangen Versuchen, dem Morast wieder zu entkommen, sondern eine Serpentinenlandstrasse, die mich Seitschläfer fast aus der Koje befördert. Am dienlichsten im Nightliner ist der Bauch- oder Rückenschlaf. Möglichst viel Auflagefläche mit wenig Masse in der Luft. War ich früher. Mag mein Rücken aber nicht mehr. Jaja… Der Zahn der Zeit nagt auch an Musikerknochen…
Ich brauche rund 10 Minuten, um unfallfrei von der obersten Koje in den Gang zu klettern, schlüpfe in meine Klamotten, laufe nach vorne, nehme auf dem Weg an der Kaffeemaschine noch einen Espresso mit und lande unverletzt auf einem der Sitzplätze. Die restliche Fahrt genieße ich mit Blick nach draußen in eine herrliche Landschaft. Richtig schön ist es hier und anscheinend ein Fahrrad-Eldorado. Zumindest sind heute unfassbar viele unterwegs.

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Bei strahlendem Sonnenschein laufen wir am Veranstaltungsort ein. Das Wetter täuscht ein wenig über die ziemlich eisigen Temperaturen hinweg. Sind bei uns schon alle Laubbäume grün, ist hier noch kein einziges Blatt zu sehen. Aber, halleluja, es regnet nicht!!! Und so schlendere ich erst einmal über den Mittelalterlichen Markt und das gesamte Festivalgelände. Schön ist es hier. Viel Liebe steckt in jedem Detail und alle sind ausgesprochen freundlich. Man fühlt sich einfach willkommen.

Unser Trucker trifft mit seinem 40-Tonner ein, der ein wenig lädiert aussieht. Ein Reh oder Hirsch – so genau konnte man das nicht mehr erkennen – war ihm auf der Landstrasse erst vor und dann unter die Räder gekommen. Zum Glück ist ihm nichts passiert. Wenn man einen voll beladenen Truck verreißt, dann ist es vorbei. Und zwar nicht nur für das Reh, sondern im schlimmsten Fall für andere Verkehrsteilnehmen und/oder den Trucker. Ich mache ein Bild von der Front des Trucks und stelle es online. Jeden Morgen und jeden Abend ein Foto, so tun wir das auf Tour. Und es ist nicht immer einfach, ein passendes Motiv zu finden. Schon beim Posten ist mir klar, dass und was für Kommentare es wieder geben wird. Denn gemeckert wird immer. Egal was man tut, irgendwer weiß es besser, hat mehr Ahnung, findet es pauschal doof, fühlt sich emotional verletzt, hat keine eigene Meinung aber Hauptsache dagegen oder, oder, oder… Es gibt tatsächlich Momente, da verstehe ich Bands, die ihre Seiten machen lassen und sich auch nichts mehr durchlesen. Wir wollen und wollten aber immer nah am Fan sein. Und damit MUSS man alles lesen, wenn man alles beantworten will. Ich verrate euch jetzt mal was, weil wir ja gerade unter uns sind. Das kostet. Tastaturen und Nerven. Weil manche Kommentare nicht nur blöd, sondern schlichtweg verletzend sind. Einer meiner „Lieblingssprüche“: „Das könnt ihr viel besser!“ Ach ja? Wir können es vielleicht ANDERS, aber besser bedeutet in dem Falle AUSSCHLIESSLICH den eigenen Geschmack treffend. Und das kein KEIN MENSCH DER WELT. Jeden Geschmack treffen. Darum machen wir alles exakt so, wie wir es WOLLEN. Jeder einzelne Ton auf einem Album wird von 6 Musikern und – Achtung, Überraschung: MENSCHEN!!! 100 mal umgedreht. Aber das nur ganz am Rande. Und wenn ich ein Bild poste von einem kaputten LKW und dazu mit Galgenhumor was von Rehragout schreibe, dann bestimmt nicht, weil ich ein Tierfeind bin oder es so wahnsinnig witzig finde, wenn ein Tier stirbt, sondern weil das eine Art ist damit umzugehen. Ich habe zuhause 2 Gnadenbrotpferde stehen, die hier ihren Lebensabend verbringen dürfen, 6 elternlose Katzen von Hand aufgezogen und könnte noch ein paar Beispiele mehr bringen. Muss ich aber nicht. Und ich muss auch nicht zum Lachen in den Keller flüchten….

Auf einen Soundcheck verzichten wir heute, unsere Crew hat unser vollstes Vertrauen und wir wollen den öffentlichen Marktbetrieb nicht störten. Die Stimmung und das Treiben sind einfach zu schön, deshalb gibt’s jetzt keinen Lärm, sonder erst später zum Konzert.
Wir genießen derweil das leckere Abendessen und versuchen uns warm zu halten. Abends wandern die Temperaturen gegen 0 Grad. Frostig… Aber trocken!
Der Platz vor der Bühne füllt sich und die Rabenbrüder eröffnen den Konzertabend. Wir stimmen uns in der Zwischenzeit ein, ziehen uns um und starten gegen 20 Uhr unsere Show. Es wird ein schöner Abend, den wir gemeinsam mit dem Publikum feiern dürfen.

Wir ziehen uns kurz um und gehen nochmal raus zu den Fans. Und hier bestätigt sich wieder, warum wir Kontakt zu den Fans suchen. Weil die überwältigende Mehrzahl einfach super nett ist und wir uns dankbar und glücklich schätzen können, dass solche Menschen unsere Musik mögen und zu unseren Konzerten kommen. Da kann man getrost auf den einen oder anderen Vollpfosten pfeifen und am nächsten Tag wieder mit einem Lächeln im Gesicht so manche Dummheit oder Frechheit einfach ignorieren oder überlesen und sich über das, was man mit dieser Art von Musik und den zwischenmenschlichen Umgang erreicht hat, aus tiefstem Herzen freuen.

Gegen Mitternacht steigen wir in unseren Bus und brechen auf in Richtung Heimat. Schierke bleibt in guter Erinnerung und wir kommen gerne wieder!

Gute Nacht!

Hipp Höpp

Ducky